MUSIK IST KLEISTS GEWALT
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"Die Gewalt der Musik" war ein Konzert überschrieben, das die Sing-Akademie zu Berlin im Gorki-Theater ans Ende des dortigen Kleist-Festivals stellte. Christian Filips, selbst Dichter und zugleich mitsingender Dramaturg des Chores, stellte die eingangs genannten Zusammenhänge in wenigen Sätzen her und spitzte das Gewaltsame von Kleists Auffassung bis zur "Musik als Medium des Krieges" zu. Sie bringe den Menschen zum Schweigen. So müsse man wohl den Sinn von Penthesileas Ruf verstehen: "Lasst den Gesang erschallen! Macht mich still!"
Kleist-Vertonungen sind erstaunlich rar. Was Kai-Uwe Jirka an diesem Abend mit der Sing-Akademie sowie dem Staats-und Domchor zur Aufführung brachte, sprang einem rauh ans Ohr. Zwei Berliner Freunde von Mendelssohn machten den Anfang: Wilhelm Taubert mit dem Chor "Niedersteigen glanzumstrahlet" nach dem Drama "Familie Schroffenstein" und Adolph Bernhard Marx mit dem Chor "Nach dem Siege" aus einer Bühnenmusik zu "Penthesilea". Ruppige Rhythmen tragen diese Verse in sich - und die Komponisten haben sie nicht geglättet. Nach diesen klingenden Klippenbrüchen fragt man sich, warum Brahms, der es immerhin mit Hölderlins "Schicksalslied" aufgenommen hatte, niemals Kleist vertonte. Er, dieser Klangbildhauer der Sprache, hätte das Zeug dazu gehabt. Und wie ein später Brahms-Nachklang wirkte auch der "Gesang der Barden" aus der "Hermannsschlacht", den der junge Wilhelm Kempff, zeitlebens nicht nur ein bedeutender Pianist, sondern auch Komponist im Fahrwasser des Impressionismus, im Jahr 1917 für Männerchor und drei altgermanische Luren geschrieben hat. (...)
Gesang, gesteigert bis zum gellenden Wolfsschrei, bot die Uraufführung von Michael Wertmüllers "lustjagd" nach "Penthesilea". Doch inhaltlich aufregender war die Collage "Das heilige I-A! oder Also an Eselsgeschrei hieng ein Menschenleben?", die Bo Wiegt aus Kleists Cäcilien-Legende, Händels "Alexanderfest" (eine Cäcilienode!) und einem Kleist- Brief hergestellt hat. Darin schildert der Dichter einen Pferdeunfall, der durch Eselsgeschrei verursacht wurde. Kleist selbst war Klarinettist, und die Klarinette übernahm bei Wiget den lautmalerischen Part des verhängnisvollen Esels. Wie hier Kunst und Leben, die Musik, das Heilige und die Gewalt ineinandergriffen, das stellte das ergiebige Destillat des Abends dar. In seltsamer Verkehrung aller Rollenbilder tauchte am Ende Ludwig van Beethoven, eine fast sprichwörtliche Gewaltnatur der Musik, mit einem sanften Stück auf: dem "Elegischen Gesang" op. 118, einem musikalischen Nachruf auf eine Freundin, die im Herbst 1811 gestorben war.
Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg hat nun die Sing-Akademie zu Berlin wieder ein ganzes Konzert in jenem Haus gegeben, das ursprünglich für den 1791 gegründeten Chor gebaut worden war. Formal ist sie noch immer dessen Eigentümerin, doch nutzen kann sie es nicht (F.A.Z. vom 8. August). Jetzt hat ihr die Kunst die Tür geöffnet: die große Begabung von Christian Filips und Kai-Uwe Jirka, unter der Asche des Vergessens jene Stellen der Berliner Musikgeschichte aufzuspüren, wo noch Glut wartet, die Flammen schlägt, wenn der richtige Hauch sie trifft.
F.A.Z., 26. November 2011, Jan Brachmann
DER CHORGEIST
Vor 220 Jahren gründete Carl Friedrich Fasch die Sing-Akademie. Und erfand nebenbei den gemischten Gesangsverein
http://www.tagesspiegel.de/politik/der-chorgeist/4521656.html
Der Tagesspiegel, 19. August 2011, Conrad Wiedemann
DIE LIEBE, DIE NICHT DAS IHRE SUCHT
F.A.Z., 8. August 2011, Jan Brachmann
SCHIMMERNDER KLANG, WEITE DYNAMISCHE BÖGEN
Man hätte es fast vergessen können während dieser milden Sonnenstunden: Dass der Karfreitag ein Schmerzenstag ist. Die Sing-Akademie zu Berlin erinnert daran in der Gethsemanekirche, benannt nach dem Ort, an dem Jesus die Nacht vor der Kreuzigung verbracht hat – mit Passionsmusik von Franz Liszt und dem Schweden Allan Pettersson, die dieses Jahr 200 und 100 Jahre alt geworden wären. Der Chor, begleitet von der Symphonischen Compagney Berlin, ist unter Kai-Uwe Jirka in guter Verfassung: Schimmernder Klang, weite dynamische Bögen, leuchtendes Forte, sanft ausgesponnenes Piano. Innige Trauer strömt aus Paul Gerhardts „O Haupt voll Blut und Wunden“ in der Bearbeitung von Liszt.
Das Programm ist anregend, zudem spannungsreich im Aufbau – es verschränkt Auszüge aus Liszts „Christus-Oratorium“ und der Kreuzwegvertonung „Via Crucis“ (Orgel: Age-Freerk Bokma) mit Petterssons 1974 auf Gedichte lateinamerikanischer Arbeiter-Poeten geschriebener Kantate „Vox Humana“. Liszts späte Tonsprache ist karg, minimalistisch, andererseits in der gewaltigen „Stabat Mater“Vertonung auch hochdramatisch und opernhaft, eine symphonische Dichtung für die Kirche. Hier trifft sie sich mit Petterssons ausladenden Klangschichtungen, deren Modernität in ständigen Brüchen und Wellenanläufen aufblitzt. Hilke Andersen singt mit rubinrot timbriertem Alt, Nikolay Borchev hinterlässt mit kernigem, in der Höhe lichtem Bariton den stärksten Eindruck von Schmerz. Dann geht’s zurück in den immer noch warmen Karfreitagabend. Und doch fühlt er sich jetzt so anders an.
Der Tagesspiegel, 23. April 2011, Udo Badelt
AUSSERGEWÖHNLICH BEWEGEND
Außergewöhnlich bewegend geriet das Passionskonzert am Karfreitag in der vollbesetzten Gethsemane-Kirche in Berlin-Prenzlauer Berg durch die Auswahl der musikalischen Werke – keine der großen bekannten Passionsmusiken erklang, die Sing-Akademie zu Berlin unter Leitung von Kai-Uwe Jirka widmete sich stattdessen zwei Jubilaren des Jahres 2011: Franz Liszt und Allan Pettersson.
(...) Der Sing-Akademie zu Berlin, vereint mit dem Staats- und Domchor kam die umfangreiche Aufgabe zu, die musikalischen Welten adäquat darzustellen und das gelang vortrefflich, mit wacher Konzentration und Durchdringung der Partituren. Rhythmischen Ausdruck wie in “Lynch” oder ungewohnte harmonische Fortgänge wie in “Der Unbussfertige” meisterte der Chor mühelos. Die Symphonische Compagney lieferte im Streichorchester nicht nur Orientierung, sondern bot starke eigene Farben dieser Musik an. (...) Dieses Passionskonzert war mutig, erzeugte großen Beifall vom Publikum und regte zum Nachdenken an, zudem wurde eine der wenigen Jubiläums-Aufführungen eines Werkes von Allan Pettersson in Deutschland überhaupt realisiert, dafür darf man gratulieren.
Alexander Keuk, 23. April 2011 http://www.petterssonblog.de/?p=76
IN STIMMIGEM ZUSAMMENWIRKEN
"Fasch – Vater und Sohn" war das Motto des elftägigen Barockmusik-Festivals. Vater Johann Friedrich Fasch (1688-1758), langjähriger Hofkapellmeister am Anhalt-Zerbster Hof, sein Sohn Carl Friedrich Christian Fasch (1736-1800) und Zeitgenossen standen im Mittelpunkt des Abschlusskonzertes.
Die Sing-Akademie zu Berlin, die älteste gemischte Chorvereinigung der Welt, begeht aktuell ihr 220-jähriges Bestehen. Ihr Gründer war Carl Friedrich Christian Fasch, dessen 285. Geburtstages mit den Festtagen auch besonders gedacht wurde. Ebenfalls aus der Hauptstadt kam die Lautten Compagney. Im großen Halbkreis umschlosssen 26 Sängerinnen und Sänger die Musiker, bei denen zwei barocke langstegige Lauten optisch besonders auffielen. (...) Klangreichtum im mehrstimmigen Chorgesang, das Miteinander mit den aus dem Chor stammenden ausgezeichneten Gesangssolisten in stimmigem Zusammenwirken mit dem Orchester unter der Gesamtleitung von Kai-Uwe Jirka eröffnete ein Konzertprogramm, das eine gelungene und vom Publikum begeistert aufgenommene "Werbeveranstaltung" für die Schönheit und spannungsvolle Vielschichtigkeit barocker Musik wurde.
Volksstimme, 19. März 2011