NATIONALOPER #2
"Die Klischees von deutschem Wald und deutschem Sang werden musikalisch gekonnt verfremdet: Die Sopranistin Yuka Yanagihara darf Ännchens Arie in ihrer Muttersprache Japanisch singen. Die berühmten Tenorarien des Schützen Max werden von einem schmalbrüstigen Schlagersänger dargeboten, andere Arien vom bestens disponierten Mädchenchor der Sing-Akademie zu Berlin." (Quelle: Deutschlandfunk)
"Ein grosser Augenblick ist der Auftritt des Kinderchors, wenn sich der ganze Bühnenraum plötzlich mit dieser Vielzahl von Mädchenkörpern und mit ihren zarten Stimmen füllt." (Quelle: Musikzeitung)
MUSIKALISCHE AUFKLÄRUNG
Es macht schon neugierig, was das für ein Werk ist, was als „seltenst gespieltes Oratorium“ von Joseph Haydn angekündigt wird – zuletzt in Berlin angeblich im Jahre 1777.
Opernnetz, 5. Juni 2016, Zenaida des Aubris
KARPFEN IN DER KIRCHE
Die Sing-Akademie zu Berlin zeigt in der Elisabethkirche, dass Haydns frühestes - und unbekanntestes - Oratorium "Il ritorno di Tobia" ein unterschätztes Werk ist.
Der Tagesspiegel, 5. Juni 2016, Carsten Niemann
225 JAHRE SING-AKADEMIE ZU BERLIN
VON HÖLLENLÄRM UND HIMMELSKLÄNGEN
Karfreitag mit Satie, Bach und Stölzel in Berlin
(..) die Musik spielte vor allem im Saal der Villa Elisabeth: Hier boten Musikerinnen der Lautten Compagney Berlin jene bereits erwähnten „Solo-Meditationen“ dar, nämlich fragmentierte Choräle von Satie, solo oder zu dritt auf älteren Instrumenten gespielt. Saties mitunter spröde Tonsprache stimmte den eingeschworenen Kreis der Zuhörenden andächtig. Dabei bekamen die neuen alten Klanggewänder eine die Ohren kitzelnde barocke Färbung und verwiesen somit auf eines der großen Vorbilder Saties: Johann Sebastian Bach.
Mittags fanden sich eine Violinistin und die Streichbassistin der Lautten Compagney mit einem Klarinettisten und dem Mann am Akkordeon zusammen, um Saties Musik mal barock, mal wie Klezmer oder wie von Yann Tiersen bearbeitet erleben zu lassen. und auf einmal macht diese Veranstaltung etwas spürbar: „und die Erde erbebte und die Felsen zerrissen“ (Matth 27, 52).
(..) Stölzels Passionsoratorium Die leidende und am Kreutz sterbende Liebe (Gotha 1720) erwies sich am Abend als eine erfreuliche Alternative zu Bachs berühmten Passionen. Die Komposition besticht mit italienischer Sanglichkeit, ja Liedhaftigkeit. Diesem Aspekt wurden die Solisten völlig gerecht. Besonders gilt dies für die erfreulichen und herausragenden Leistungen von Jan Kobow und Cornelius Uhle. Verstärkt um Knabensolisten des Staats- und Domchors, souverän und stilsicher begleitet von der Lautten Compagney Berlin, gelang dem Kammerchor der Sing-Akademie und Kai-Uwe Jirka ein eindrückliches Plädoyer für den Gothaer Zeitgenossen des Thomaskantors.
Musik & Kirche, 3/2016, Rashid-S. Pegah
DAS DESCENSUS-GESCHEHEN
Karfreitag 2016 bei der Sing-Akademie zu Berlin
Ein Beitrag von Monika Rinck
„So wie der Zustand der Schwerelosigkeit bei den Astronauten, zerstört die einsame Freiheit - ohne andere - die Muskeln, die Knochen und das Blut. Einsamkeit ist vielleicht das einzige Wort, das keine Bedeutung hat. Ohne anderes und anderen, ohne Bezug erträgt sie die Differenz nicht, die allein diskriminiert und Bedeutung schafft."
(Julia Kristeva, Fremde sind wir uns selbst)
Am Gründonnerstag, im Garten Gethsemane auf dem Ölberg, bittet Jesus seine Jünger, wachet mit mir, aber sie schlafen ein. Und dann schlafen sie wieder ein. Und wieder. Große Traurigkeit vereinzelt. Es wird aber dennoch gut sein, sich nicht in die Einsamkeit zu entlassen. Die Scham der Jünger ist echt.
Während des Tagesprogramms „Petites Perceptions 2“ der Sing-Akademie am Karfreitag konnte man hineingehen und hinausgehen, alleine, aber nicht einsam. Immer wieder aufbrechen oder verharren, ganz nach Gusto. Gusto ist hier weniger ein Wort für Genuss, als vielmehr für die leise Wonne (nach Gusto) den traurigen Impulsen gleich nachgehen zu können, genau dann, wenn sie aufkommen, und nicht das kleinste Bleiben zu erdulden, und wenn es nur ein paar Schritte sind, von einem Raum, von einer Situation in die andere. Und am neuen Ort angehalten zu werden, von dem Geschenk der Musik, gehalten zu sein, wie man um eine Hand anhält, aber nicht um sich zu vermählen, sondern um für einige Augenblicke gehalten zu sein. In der kalten Kirche bei den Vexationen von Satie. Distanziert mit leisem Tritt auf der Galerie. Bei den wunderschönen musikalischen Meditationen mit Musikern der Lautten Compagney im Saal. Beim Chor „Er heißet Friedensfürst“, der erfreulicherweise auch mehrfach wiederholt wurde. Das offene Singen einiger Chöre der Johannes-Passion. Im improvisierten Kinoraum im Parterre, wo der Film „Fastentuch 1472“ von Bernhard Sallmann gezeigt wurde, oder vor der Türe, im Niesel. Das Wetter war nicht gut, aber beinahe tat es mit, in einem tröstlichen Arrangement von unerhörter Großzügigkeit, war es das Außen, das es immer gibt.
In der Kirche spielte der Pianist Sebastian Berweck die Vexations von Satie. Ein hastiger Ton am Ende und Beginn jeder Wiederholung führte dazu, dass kein Ende sein konnte. Es würde ein Ende aber kommen. Dass etwas Schlimmes sich ankündigt, am frühen Morgen bereits, dass es immer wieder passiert, im Abstand eines Kirchenjahres, dass ich nicht allein bin, es zu durchqueren, selbst wenn klar ist, dass ein jeder alleine ist, es zu durchqueren. Es hatte in der Kirche eine karge Ruhe. Viele Menschen schlossen die Augen, reckten sich oder sanken in sich zusammen. Am Vormittag war auf die Wiederholungen Verlass und das Mitgefühl galt dem Pianisten, der sich auf weiter Strecke befand, deren Vielfaches noch vor ihm lag. Und immer wieder. Die Wiederholungen milderten das Ende, antizipierten und stellten es heraus – steigerten es also. Es ist ja bekannt, dass es geschieht, am Karfreitag, gegen 15 Uhr. Es ist Teil des Passionsgeschehens; mit Blick auf den Ostersonntag würde man sagen: des Heilsgeschehens. 840 Mal die knappe Notation zu wiederholen, wies Satie den Pianisten an, und zudem: sich in größter Stille, mit ernster Reglosigkeit darauf vorzubereiten. Am Nachmittag versammelten sich die verbliebenen Besucherinnen in der Kirche. Da konnte jede Wiederholung die letzte sein. Doch immer kam der leicht verfrühte, der gedankenlose und hastige Ton, der bewirkte, dass aufs Neue damit anzufangen war. Und dann stieg die Angst. Die Angst vor dem Ende war größer als die Ungeduld, es möge endlich vorbei sein. Diesen Umschlag in sich selbst zu bemerken, war eine gute Lehre. Und dann war es doch vorbei. Es war vollbracht. Die Zuhörerinnen erhoben sich und klatschten. Der Pianist verbeugte sich. Die Zuhörer klatschten weiter. Und ich lernte eines fürs Leben: dass man am Ende der Vexationen nicht Zugabe ruft, auch nicht Encore. Es schweige doch der böse Schalk, weil es eben das Ende ist. Und es für niemanden ein Gutes wäre, noch einmal, selbst scherzhaft damit zu beginnen. Aber es wird sich jähren, das ist gewiss. Das war Endlichkeit. Und alle waren am Leben, bis auf die Toten. Am kalten Karfreitag im März 2016.
Zuvor aber so vieles, aus einer wie passageren Fülle geschöpft, die endlos schien. Eines davon: das Lamento Projekt. Ja, dass es Schönheit braucht, um der Trauer Raum zu geben, ein Vertrauen auf einen Raum, den der Alltag verneint, vielleicht sogar fürchtet. All die Anstrengungen der Nüchternheit, im Dienste des Weitermachens, die ja auch wichtig sind, waren jetzt – zum Glück einer Ausdehnung der Trauer, die sich ins Recht setzen dürfen muss – suspendiert. Das nehme ich Dir aus den Händen, und ich gebe dir etwas anderes dafür, solange gespielt wird. Wie die aus dem Plenum der gemeinsamen Harmonie hervorkommenden persönlichen Klagen der Instrumente sich einen Raum nahmen, und wie furchtbar traurig diese Exkursionen waren, und wie herzerweiternd denkbar ihre Rückkehr in das Quartett, in ein um diese Traurigkeit erweitertes Quartett, das immer größer wurde, und schöner, erinnere ich mit Dankbarkeit.
Dann: die sich hier wie dort installierenden Meditationen nach Satie, in die Bach sich mischte, und vieles mehr, im Sympathiezauber. Der entleerte Blick, auf den die Filmbilder trafen. Und wieder: der Friedensfürst, mit allen. Die neugemachte Wahrnehmung, die Treppen, die Wege, und das Glück in ein plötzlich sich entfaltendes musikalisches Holding zu geraten. An den Rändern des Beginnens und Endens, die Gespräche und immer wieder, entlang der Uhrzeiten des Neubeginns, die Ratsche, die mit ihrer Lautstärke alles auf einmal herausräumte aus dem Kopf, um in diese Beruhigung hinein Musik zu geben. Wie schön das war! Und mit der Schönheit kam die Trauer zurück, und die Möglichkeit sie zu tragen. Das ist das Geschenk, das ich meine, mit anderen und der Musik alleine, aber nicht einsam zu sein.