BERND ALOIS ZIMMERMANNS WELTTHEATER FÜR DEN FUNK
Zur Uraufführung eines vergessenen Meisterwerks durch die Sing-Akademie zu Berlin und das Deutschlandradio in der Volksbühne
Torsten Flüh, nighoutatberlin, 30.11.2018
ADAM VS. GOTT - VOLKSBÜHNE ZEIGT ZIMMERMANN-OPER
Der Allmächtige und die Alimente: Christian Filips inszeniert Bernd Alois Zimmermanns Funkoper „Der Unterhaltungsprozess gegen Gott“ als eindrucksvolles Bühnenwerk.
Jonas Zerweck, Der Taggesspiegel, 28.11.2018
ICH SOLL EIN CHOR SEIN? WAS JETZT?
Die Autorin Daniela Dröscher berichtet von einem Blind Date am Karfreitag 2018
Am Anfang war - der Chor.
Leuchtende Gesichter standen da und schauten. Euphorisch.
Ein buntscheckiger Haufen.
EINS - J.S. Bach: Motette BWV 229
//„Komm Jesu, komm, mein Leib ist müde.“ //
Ich staunte. Der Chor gab hier den Ton an. Klar, geometrisch, gerichtet, sang er über alles hinweg: Orchester, Solisten, den Dirigenten, Köpfe.
//„Komm, komm.“ //
Er sang … sehnsüchtig. … persönlich. Als wäre ICH - Jesus.
//„Komm, komm.“//
CHOR: Gefällt es Ihnen, ungebunden zu sein?
ICH: Un-gebunden?
CHOR: Ungebunden.
ICH:... ich …ich… ich bin nicht … ‚ungebunden‘.
//„Komm, komm.“//
ICH: (verwirrt) … und Jesus … bin ich auch nicht.*
* Jesus stammte aus Palästina. Seine weiße Haut (wie auch Bart und Mittelscheitel) verdankte er dem Schönheitsideal byzantinischer Künstler aus dem 6. Jahrhundert.
ZWEI - Haydn: L’Introduzione
Der Chor sah mich an, über die harmonischen Streichinstrumente hinweg, ein stiller Vorwurf in den Augen.
CHOR: Chor? Welcher Chor? Ich bin ein Einzelkind.
ICH: (lügt) … verstehe …
CHOR: Wenn es Ihnen recht ist…
ICH: Sie … Sie … Sie .. sind … ein …
CHOR: … Einzelkind.
Jesus war also nicht weiß, und dieser Chor war kein ER. Eher eine … höfische … hündische … SIE.*
*„SIE“ : 1. Personalpronomen, Dritte Person plural, 3. Person sing. femininum, 2. Höflichkeitsform / Anrede, 3. Substantiv („Ist Ihr Hund ein Männchen oder ein Weibchen?“ - „Eine Sie.“)
CHOR: Oh, il gentil pensier, tuutti accettiaaamo! // / Oh, eine reizende Idee, wir sind alle dabei!
ICH: (ängstlich) Wer ist ‚Wir‘?
CHOR: Wer könnte je ein ‚Wir‘ sagen, ohne zu erzittern?
DREI - J.G. Naumann: Zeit und Ewigkeit I
Als nächstes sang SIE eine empfindsame Kantate.
// „Ist doch der Mensch gleich wie nichts.“ //
SIE stand, ich saß.
Ich schwieg, SIE sang.
// „Seine Zeit fährt dahin wie ein Schatten.“//
CHOR: Wir sind noch viel vorübergehender, wir sind alle eine Masche, und wie froh bin ich darüber!
So kamen wir nicht weiter. Mit diesem ganzen … Tod. Und Jesu Leiden zwischen uns. Vielleicht half etwas - Konversation.
ICH: Sie mögen … die italienische Oper?
CHOR: Mmhh … Ich denke dabei nur an Mozart.
Oder besser gleich eine - Liebeserklärung. Bei einem Einzelkind …
ICH Ich … ich liebe Sie, Madame.
CHOR: Ein Herz? Ihr habt ein Herz?
ICH: Ich meine … ich liebe sie.
CHOR: Ah, in cotal guise / v’uuuccidereete … aveer v’èè d’uooopo cura dell’ esser vostro.
ICH: Ich meine …— ich liebe SIE. Ich liebe - ach vergessen Sie’s …
CHOR: (bedauernd) Liebe? Che è ciò? / Was ist das?
ICH: Die Liebe ist ihrem Wesen nach nicht nur weltlos, sondern sogar weltzerstörend und daher nicht nur apolitisch, sondern sogar antipolitisch – vermutlich die mächtigste aller antipolitischen Kräfte!
CHOR schaut verständnislos.
ICH: (lügt) Verstehe. (Pause) Was ist mit … Freundschaft?
CHOR: Freunde! Pah. Alles verstaubte Konventionen.
ICH: Aber was - was dann?
CHOR: (stolz) Ich habe mich entschlossen, Ihnen von Chor zu Chor zu begegnen.
ICH: Ich - ich soll ein Chor sein? Was jetzt? Ich dachte, ich soll Jesus sein in unserer Beziehung- ? … und Sie, dachte ich - Sie sind ein Einzelkind.
CHOR: (kalt) Hör bitte sofort auf mit Deinem andauernden Geständniszwang!
//„Ach wie nichtig, ach wie flüchtig // Sind der Menschen Sachen!“ //
Jetzt war ich es, die gekränkt war. Anstatt mir offen zu begegnen, besang SIE meine - Sterblichkeit. Und duzte mich!
//„Alles, alles, was wir sehen, das muss fallen und vergehen.“//
Schlimmer: Meine - wohl verborgene … (leise) Einsamkeit.
CHOR: Bla, bla bla …Bißchen spießig ist das schon.
ICH: Was? Allein zu sein?
CHOR: Unter meine Liebe können Sie einen Strich machen.
ICH Aber es ist die Wahrheit.
CHOR: Ich will sie aber gar nicht hören. Du bist doch sonst so klug, dann mach irgendwas gegen diese Wahrheit!
ICH: Jetzt komm mir nicht wieder mit Jesus.
CHOR: (wütend) Müssen Sie frustriert sein!
Auftritt REZITATOR. Stakkato eines Großinquisitors.
Zeit - Frist.
Und der Abgrund dazwischen.
CHOR: Die herrschende Kapitalismuskritik ist vielleicht deshalb so en vogue, weil sie sich darauf beschränkt, wieder nur zu sagen, dass wir nur bessere Menschen werden müssten.
ICH: Und weiter?
CHOR: Aber wir sind schon gut genug.
ICH: (zweifelnd) Wer sagt das? Jesus?
CHOR: (nickt eifrig) Wir sind schon gut genug!
VIER - B. A. Zimmermann: OMNIA TEMPUS HABENT
Ich Ungläubige aber saß vereinzelt.
Einsamer als die Töne dieser Neuen Musik.
SIE und ich waren keinen Schritt weiter. Mit unserer Begegnung.
SIE war ein Chor, der vorgab, ein Einzelkind zu sein.
Ich war eine Einzelne, die dachte, nicht gut genug zu sein.
„O mein Leib, sorge dafür, dass ich immer ein Mensch bin, der fragt!“
In meiner Verzweiflung zählte ich die Instrumente. Töne sprangen durch den Raum. Auch die Sopranistin vorne sang … wie eine von uns … mit uns … unter uns.
ICH: (euphorisch) Ich hab’s!
CHOR: Was ‚habt‘ Ihr?
Allein konnte man kein Chor sein. Ein Chor zu sein, das hieß: Die Verweigerung der Einsamkeit.
CHOR: Oh, il gentil pensier, tuutti accieetaaamo / Oh eine reizende Idee, wir sind alle dabei!
FÜNF - J.G. Naumann, Zeit und Ewigkeit II
WIR schüttelten uns, ungläubig.
SIE hatte also tatsächlich einen Chor aus uns gemacht!
CHOR: Ich bin sehr froh, dass es Ihnen etwas bedeutet.
SIE. Unser höfisches hündisches Einzelkind.
CHOR: Das war ein schöner Abend, nicht wahr?
//„Die unschätzbaren Stunden fliehen.“//
CHOR: Und dieses Konzert war phantastisch!
//„Vergebens ruft man sie zurück.“//
WIR: Moment! Aber … was … wenn es vorbei ist?
//„Ach lass mich ächten Vorteil ziehen.“//
WIR: Und jeder wieder … für sich?
//„Aus jedem teuren Augenblick.“ //
WIR: Sind wir dann … immer noch … gut genug?
//„Er kommt, er kommt! So schallt’s von oben //
Entschlafne, hebt die Häupter auf!“ //
SECHS - B. A. Zimmermann: Weh dem, der allein ist!
Da plötzlich klappte der Kirchenraum auf, hinauf in die Höhe.
OBEN (auf der Empore)
RECHTS: Dostojewskis Großinquisitor
LINKS: ein buntgescheckter Bariton
VORNE: SIE
UNTEN: WIR.
Von Chor zu Chor. Eine ganz und gar Neue … Musik!
SIEBEN - J.G. Naumann: Zeit und Ewigkeit II
WIR drängten nach draußen. Zum Unrecht, unter die Sonne. Wir waren ja GUT GENUG. SIE aber sang und sang. Ganz empfindsam sang SIE wieder.
//„Amen ja / Komm Her Jesu / Amen ja.“//
CHOR: Es ist nicht schön, verlassen zu werden.
WIR: Tut mir leid, aber ich muss jetzt.
CHOR: Hören Sie! Nebenan gibt es noch mehr Musik.
ICH: Ein anderes Mal, gern.
CHOR: Ich liebe Sie, Madame!
ICH: Bitte was?
CHOR: Ich will Ihren Busen, ja wirklich, ich will nicht mehr ohne ihn leben.
ICH: Aber - ich dachte …
CHOR: Red nicht so viel! Lass uns ins Bett gehen!
ICH: Aber ich bin doch Jesus?
CHOR: Genau das hätte Jesus jetzt auch getan!
ICH: Ich liebe Dich, Chor! O ich liebe Dich!
Ende // Applaus