DAS CHAOS KANN MAN SICH NICHT WÜNSCHEN, ES IST JA DA
Der Lyriker Christian Filips über den britischen Schriftsteller Laurence Sterne
Interview im Deutschlandradio Kultur
Aus Anlass der Abschlussveranstaltung des diesjährigen
internationalen literaturfestivals berlin:
TRISTRAM SHANDY - Ein szenisches Oratorium nach Laurence Sterne
Deutschlandradio Kultur, 22. November 2013, Stephan Karkowsky
DIRIGENT JIRKA ÜBERZEUGT MIT FAST VERGESSENEM ORATORIUM
Auf den Jüdischen Kulturtagen hauchten Dirigent Kai-Uwe Jirka und die Sing-Akademie Adolph Bernhard Marx' Oratorium "Mose" neues Leben ein - mit besonderer Zuwendung zum Publikum.
Adolph Bernhard Marx, 1866 in Berlin verstorben, war ein wichtiger Musiktheoretiker und vor allem ein Gründer. Er war an der Gründung des Berliner Tonkünstlervereins, des Stern'schen Konservatoriums und der "Berliner Allgemeinen Musikalischen Zeitung" beteiligt. Er half Felix Mendelssohn Bartholdy bei der epochalen Aufführung der Matthäus-Passion mit der Sing-Akademie, die schließlich die Bach-Renaissance einleitete.
Nur als Komponist blieb Marx auf der Strecke. Bei den Jüdischen Kulturtagen wurde nun in der Synagoge Rykestraße sein fast vergessenes Oratorium "Mose" aufgeführt. Es ist ein Stück deutsch-jüdischer Musikgeschichte. Das Konzert mit dem Staats- und Domchor, der Sing-Akademie zu Berlin und der Kammersymphonie Berlin unter der Gesamtleitung von Kai-Uwe Jirka offenbart imposante Chorstellen, exzellente Solisten und einen sehr engagierten Leiter.
(..) die Interpretation an diesem Abend lässt einen emotionalen Gewinn aus der Musik ziehen, vor allem durch die Mischung von Kinder- und Erwachsenenstimmen sind die Chorpassagen besonders eindringlich. Das Publikum ist begeistert.
Berliner Morgenpost, 23. August 2013, Katharina Fleischer
DER FALSCHE GRUNDBUCHEINTRAG
Der Streit über das Gebäude der Sing-Akademie wäre vermeidbar gewesen und kostet Berlin 400.000 Euro. Die Auseinandersetzung mutet kompliziert an, aber nur auf den ersten Blick. Denn die Ansprüche der Sing-Akademie waren immer glasklar und einfach.
Immer hat sich die Sing-Akademie zu Berlin als Eigentümerin des Gebäudes am Kastanienwäldchen gefühlt, immer. Mehr als sechs Jahrzehnte war das ein äußerst vergebliches Gefühl, spätestens, seit 1952 am alten Standort der Sing-Akademie das Maxim-Gorki-Theater gegründet wurde. Und erst recht, als die Eigentums-Verfahren seit 1990 immer neue Instanzen beschäftigten und den kleinen Verein teurer und teurer kamen.
Aber was sind sechs Jahrzehnte, wenn man die älteste gemischte Chorvereinigung der Welt ist mit 220 Jahren Tradition? Heute fällt die Freude umso größer aus, jetzt, da der Chor nach 22 Jahren Streit vom Bundesgerichtshof recht bekam. Dort wurde „durchentschieden“, das Verfahren nicht an das Kammergericht zurückverwiesen, kein Widerspruch ist mehr möglich.
Glasklar und einfach, statt kompliziert
Nicht laut und triumphal fällt die Freude im Verein aus, sondern eher leise, friedlich und rechtschaffen, so wie man auch das Wesen des Vorstandsvorsitzenden und Anwalts Georg Castell beschreiben würde. Der Gerichtsbeschluss stammt vom Dezember 2012, noch haben Land und Verein nicht über die Zukunft verhandelt. Fest steht nur, dass der Verein beharrlich bleiben wird und Pacht erwartet für sein Eigentum, dazu eine Entschädigung für entgangene Einnahmen.
Vor allem aber denkt er zukunftsorientiert und will das Ensemble – seit 60 Jahren ist das Gorki-Theater ein staatlich subventioniertes Haus – in seinem Gebäude nicht gefährden. Andererseits, was soll es auch mit einem Theater tun, als darin Theater spielen zu lassen?
Es stellt sich die Frage, ob dieser 22 Jahre währende Rechtsstreit, für den der Verlierer Berlin nun die rund 400.000 Euro Gerichts- und Anwaltskosten trägt, nicht vermeidbar gewesen wäre. Der Streit mutet auf den ersten Blick kompliziert an, in der Konsequenz dagegen waren die Ansprüche der Sing-Akademie stets glasklar und einfach. Das Gebäude gehört ihr. Das Grundstück ist ein Geschenk von König Friedrich Wilhelm III. Der Konzertsaal von 1824 war der erste Berlins, den weder Hof noch Kirche betrieben.
Der Bau von Carl Friedrich Zelter auf dem wässerigen Grund wurde damals übrigens viel teurer als berechnet und stürzte den Verein in hohe Schulden, sodass er wertvolle Notenbestände aus seinem Archiv verkaufen musste. Ein solches Eigentum verpflichtet.
Der Verein hat hernach auch den Nationalsozialismus relativ unbeschadet überstanden, konnte durch Angliederung an die Akademie der Künste die nationalsozialistische Gleichschaltung verhindern, berichtet Castell. Die sowjetischen Besatzer sind nach 1945 eher pfleglich mit der Sing-Akademie umgegangen, lösten den Verein nicht auf, ließen die Eigentumsverhältnisse unangetastet, stellten allein das Haus unter eine neue Verwaltung. Erst 1961 kam es zu dem irrtümlichen Stempel im Grundbuch „Eigentum des Volkes“. Irrtum deshalb, weil es zuvor keine Enteignung gegeben hatte. Enteignet worden waren nur preußische Besitztümer, und hier handelt es sich um einen unabhängigen Verein.
Der Magistrat habe die Sing-Akademie fälschlich als preußische Einrichtung eingestuft, aber keine Enteignung vornehmen wollen, berichtete 2004 der einst zuständige Beamte vor Gericht über den Grundbucheintrag. Entsprechend eindeutig fiel das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts aus. Es lehnte 2004 den erstmals 1990 formulierten Anspruch der Sing-Akademie auf Rückübertragung ihres Gebäudes ab. Allerdings mit der wegweisenden Begründung, sie sei gar nicht enteignet worden, sondern weiter Eigentümerin.
Wer wurde hier bekämpft?
Ist das nicht eine eindeutige Aussage, der Berlin hätte nachgehen können? Aber nein, die Sing-Akademie musste weitere acht Jahre prozessieren, nun vor Zivilgerichten, um sich in letzter Instanz durchzusetzen. Das Absurde an dem Prozess: Egal, wie die Gerichte entschieden hätten, Ansprüche der Sing-Akademie wären in jedem Fall geblieben – entweder hätte ihr eine Entschädigung nach Enteignung zugestanden oder die Rückgabe ihres Eigentums. Das muss stets allen klar gewesen sein. Trotzdem prozessierte das große Land Berlin 22 Jahre lang gegen den kleinen Verein.
Wer wurde hier bekämpft? Ein Chor, der die Bürgerkultur pflegt. Georg Castell: „Dieser Chor hat Enormes für die kulturelle Entwicklung der Stadt geleistet, ohne sich dafür vom Staat bezahlen zu lassen. Das faszinierte mich, seit ich vor zehn Jahren den Vereinsvorsitz übernahm, dass hier Bürger die Dinge selbst in die Hand nehmen. Dazu gehörte immer die Freiheit, die Musik zu machen, die sie wollten. Nicht die, die dem Hof huldigt oder der Kirche, sondern nur die, die der Kunst genügt. Für bürgerliches Engagement wäre es ein fatales Zeichen gewesen, wenn das Gericht dem Land recht gegeben hätte!“
Warum nur hat es unter zivilisierten Streitern in so einem klaren Prozedere keine Verständigung gegeben? Georg Castell kann da nur vermuten. „Heute werden gütliche Einigungen der Verwaltung selbst dann politisch diskreditiert, wenn sie wirtschaftlich und rechtlich vernünftig sind. Das verhindert manche sinnvolle Lösung.“ Mit der 1963 in Ost-Berlin gegründeten Berliner Singakademie (ohne Bindestrich) hat der Streit um das Haus nichts zu tun. Zwar gab es lange politische Bemühungen, beide zu vereinigen. Aber die Sing-Akademie wollte nicht.
Sie brachte anfangs feindselige Vorwürfe gegen den künstlerisch renommierten Verein im Osten vor, sprach ihm sein Anliegen der Traditionspflege ab, aber das ist vorbei. Heute, sagt Castell, sei man einander respektvoll-freundschaftlich verbunden, hatte schon einen gemeinsamen Auftritt. „Nur kommt für unsere Mitglieder eben keine Vereinigung infrage. Warum auch? Es fordert doch auch keiner, Union und Hertha zusammenzulegen, nur, weil beide Fußball spielen.“
Nun wird verhandelt
Kulturstaatssekretär André Schmitz erklärt zu dem Urteil, er nehme es bedauernd zur Kenntnis. Warum bedauernd? Es hätte doch – Entschädigung oder Rückgabe – so oder so öffentliches Geld an den Verein fließen müssen. Oder wollte jemand ernsthaft die kalte Enteignung eines Vereins verteidigen? Jetzt wird also verhandelt. Der Chor sieht auch künftig das Gorki-Ensemble als Nutzer und fordert auch keine Auftritte in dem Gebäude. Das Abkommen zwischen Rolf Hochhuth und Berlin ist abschreckend genug. Dem Dichter Hochhuth gehört das BE über eine Stiftung, er will dort regelmäßig auftreten, und das macht ständig Ärger.
Den einstigen Konzertsaal mit der hervorragenden Akustik gibt es ohnehin nicht mehr, er wurde nach der Kriegszerstörung als Theater wieder aufgebaut. Castell erwartet eine angemessene Pacht im Promille-Bereich des Gorki-Etats. Wobei es nun nicht nur ein Promille sein sollte (rund 10.000 Euro jährlich). Dass dieses Geld dann dem Kulturhaushalt fehlen könnte, muss ihn nicht bekümmern.
Schließlich werden andere Chöre, darunter die Singakademie, dauerhaft vom Land subventioniert, sein Verein aber nicht. Er will das nicht, wie er auch nicht die Richtlinien der Chorförderung zu befolgen gedenkt. Castell: „Aber wir verjuxen das Geld ja nicht. Wir setzen es ein für hochkulturelle gemeinnützige Zwecke. Seit Kai-Uwe Jirka und Christian Filips 2006 die Leitung übernommen haben, sind wir auch künstlerisch wieder auf dem besten Weg.“
Bis jetzt lebte der Chor von mageren Mitgliedsbeiträgen, Spendern und Sponsoren. Künftig auch von sicheren Pacht-Einnahmen.
Berliner Zeitung, 18. Januar 2013, Birgit Walter
NICHTS ALS MUSIK
Wer ist eigentlich die Sing-Akademie, der das Haus zugesprochen wurde, in dem das Maxim Gorki Theater spielt?
Ein Besuch bei einer alten Chorgemeinschaft
Als im Dezember der Bundesgerichtshof (BGH) nach u?ber 20 Jahren Rechtsstreit urteilte, die Sing-Akademie zu Berlin sei Eigentümer des Gebäudes, in dem das Maxim Gorki Theater untergebracht ist, stellten sich gleich zwei Fragen: Wer, bitte, ist eigentlich die Sing-Akademie? Und: Wie wird sie mit dem Theater im Haus umgehen? Zeit für einen Ortsbesuch.
Wobei der Ort die Villa Elisabeth in der Invalidenstraße ist, in der die Proben und Veranstaltungen der zwar jetzt hausbesitzenden, letztlich aber doch heimatlosen Sing-Akademie stattfinden. Ihr derzeitiger Stammsitz, in Anführungszeichen. Es ist kurz vor Weihnachten. Gut hundert Menschen strömen in den schönen Raum mit der verwitterten Stuckbalustrade, und es werden immer mehr, die sich die Notenblätter abholen.
Im Dezember, so heißt es, ist der Andrang zum "offenen Singen" besonders groß. Denn dann steht das Weihnachtsoratorium auf dem Programm - und jeder, der Noten lesen kann, ist eingeladen, mitzusingen oder im Orchester mitzuspielen. Zuvor hatte der Mädchenchor die Türen geöffnet. "Wer gern aus vollen Halse brummt, summt oder singt, ist herzlich willkommen!", heißt es auf einem Flyer.
Im Geist der Demokratie
Damit ist das wichtigste Merkmal der Akademie benannt: Sie ist eine Vereinigung im Geist der Demokratie, die nichts als Musik machen will. Und sie hat Tradition: Die "Sing-Akademie zu Berlin" ist die älteste gemischte Chorvereinigung der Welt. Hier sangen seit der Gründung 1791 Männer mit Frauen, Katholiken mit Protestanten und Juden, Adlige mit Bürgern. Nicht verwechseln darf man sie mit der "Berliner Singakademie", die sich nach dem Mauerbau im Osten der Stadt gegründet hat.
Die Geschichte der Sing-Akademie ist mit so berühmten Namen verknüpft, dass man sich fragt, warum sie eigentlich nicht jedem Berliner ein Begriff ist, heute. Ihr Haus am Festungsgraben, jetzt eben die Heimat des Gorki-Theaters, wurde nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel erbaut und war damals der größte Konzertsaal Berlins. Hier spielten Franz Liszt, Johannes Brahms und Richard Strauss. Hier dirigierte Felix Mendelssohn Bartholdy 1829 die wiederentdeckte Matthäuspassion. Indem sie die Kirchenmusik in den Konzertsaal holte, verlieh die Sing-Akademie der Musik eine neue ku?nstlerische Bedeutung.
Heute leitet Kai-Uwe Jirka den Hauptchor mit gut hundert Mitgliedern, drei kleinere Chöre bestehen außerdem. Jirka ist auch Leiter des Staats- und Domchors an der Universität der Künste (UdK). "Seit er 2006 zu uns kam, geht es bergauf", sagt der Vorstandsvorsitzende Georg Graf zu Castell-Castell, dem das schlichte Georg Castell mehr behagt. Nach der Wende galt der Verein künstlerisch als eher bedeutungslos.
Georg Castell also ist der, den man fragen muss, wenn man das BGH-Urteil verstehen will. Er ist Jurist und vertrat die Sing- Akademie im Rahmen des gleich nach der Wende aufgenommenen Rechtsstreits um das Haus 2004 vor dem Verwaltungsgericht. Ob er stolz ist über den gewonnenen Prozess? "Stolz ist ein mir fremdes Gefühl, aufzutrumpfen nicht der Stil der Akademie."
Man glaubt es ihm gern. Castell wirkt so wenig überheblich wie die Chorgemeinschaft, der er vorsteht. Der Rechtsstreit war kompliziert: Als sich die Akademie 1991 als Eigentümerin ins Grundbuch eintragen lassen wollte, argumentierte das Land Berlin, die Sing-Akademie bestehe nicht mehr - sie sei nach dem Krieg von der sowjetischen Besatzungsmacht verboten worden. Das aber hatte der damalige Leiter Georg Schumann durch eine Angliederung an die UdK zu verhindern gewusst. Zweitens sei die Akademie von der Roten Armee enteignet worden. Auch das stimmte nicht: Das Haus wurde von den Besatzern nur in Beschlag genommen, nicht enteignet. Der Stempel, der es seit 1961 als "Eigentum des Volkes" ausweist, wurde versehentlich gesetzt, das ist für den Bundesgerichtshof eindeutig.
Was hat die Sing-Akademie nun mit dem Haus vor, in dem seit 1952 das Gorki spielt? "Das Theater soll gern dort bleiben", sagt Castell. Der Theaterleitung hat er das sofort mitgeteilt, der Gorki-GeschäNftsführer Klaus Dörr spricht von einem "angenehmen Umgang". Auch der Kultursenat ist zuversichtlich, noch im Januar einen Pachtvertrag auszuhandeln. "Wir haben hier keine Suhrkamp-Verhältnisse", sagt der Sprecher von Kulturstaatssekretär André Schmitz. Und: "Der Standort des Gorkis ist gesichert."
Konzentriert auf die Kunst
Ob die Umbauten, die das Land in den vergangenen 60 Jahren bezahlt hat, verrechnet werden und wer künftig für die Instandhaltung zuständig ist, muss im Vertrag festgelegt werden. Ein Dauerstreit wie zwischen dem Berliner Ensemble und Rolf Hochhuth, dem Eigentümer der Immobilie, hält Castell für ausgeschlossen. "Wir würden nie künstlerische Aspekte im Pachtvertrag festlegen", sagt er entschlossen. "Wir möchten ein Konzert am Gorki nur geben, wenn es programmatisch passt und gewünscht ist." Wie das auch bisher bereits so gehandhabt wurde.
Was nicht heißt, dass es immer so bleiben muss. "Wenn man sich überlegt, dass es als Chorhaus konzipiert war, könnte man die Vision entwickeln, das Gebäude irgendwann wieder so zu nutzen." Wie die Sing-Akademie das finanziell stemmen sollte, bleibt fraglich. Schon ein offensives Marketing wäre unerlässlich - und das ist ebenfalls nicht Stil der Chorgemeinschaft. Castell weiß: "Die Akademie war immer dann am erfolgreichsten, wenn sie introvertiert war und sich auf die Kunst konzentriert hat.
die tageszeitung, 5. Januar 2013, Barbara Behrendt